Freitag, März 04, 2005

Schlohweißer Tag

Coming Out
DDR 1989 108 Min
von Hainer Carow
mit Matthias Freihof, Dirk Kummer, Dagmar Manzel, Michael Gwisdek
DVD (Icestorm Entertainment)

Es ist Silvester. Feuerwerk, Alkohol, gute Laune. Ein Tag, um mir seiner Familie, mit Bekannten oder guten Freunden zu feiern. Für manche aber auch ein Tag, an dem sich die eigene Einsamkeit um ein vielfaches verstärkt.
Ein Krankenwagen fährt durch die vom Feuerwerk erleuchteten Straßen. Ein junger Mann liegt in einem klinisch kalten Krankenhausraum, der Magen wird ihm ausgepumpt. Den Grund für seinen Selbstmordversuch erfährt die Ärztin erst nach einigem Zureden: „Ich bin schwul --- homosexuell!“. Schon die Anfangssequenz von Heiner Carows „Coming Out“ berührt zutiefst. Mit präzisen langen Kameraeinstellungen bringt uns der Regisseur das ganze Dilemma des Jungen näher. Das gequälte, desillusionierte Gesicht lässt einen nicht mehr los und ist nur ein Beispiel für die grandiosen Leistungen der Darsteller in diesem Film.
Philipp ist ein junger, engagierter Lehrer. Einer, der seinen Beruf liebt. An Liebe glaubt er auch bei seiner Beziehung zur Kollegin und Freundin Tanja. Als sie eines Tages Besuch von einem Bekanten bekommt, bricht Philipps verdrängte Homosexualität wieder auf. Bei seinem ersten Besuch in einer Berliner Schwulenkneipe lernt er auch Matthias (den Jungen aus den Anfangsminuten) kennen – und verliebt sich in ihn. Doch der Schritt zur Akzeptanz seiner eigenen Gefühle ist noch zu groß, er flüchtet sich in ein Doppelleben, das er vor beiden Partnern geheim hält.
Auch nach mehrmaligem Betrachten des Films bin ich erstaunt über die absolute Nüchternheit des Films. Wenn irgendwo das Adjektiv „realitätsnah“ passt, dann hier - keine Übertreibungen, keine reißerischen Szenen, keine verlogene Heile – Welt – Romantik, kein aufgesetztes Happy-End. Das präzise recherchierte und genau beobachtete Drehbuch von Wolfgang Witt, die sensible Regie, die unaufdringliche Kameraarbeit Martin Schlesingers und die unbefangenen, vollkommen natürlich wirkenden Darstellungen der Schauspieler harmonieren hervorragend miteinander. Dieser Film wirkt in manchen Passagen dokumentarisch – das größte Kompliment was man diesem Streifen machen kann. Jahrelang kämpfte Heiner Carow auch aus persönlichen Gründen bei der DEFA um die Realisierung dieses Stoffes, der missionarische Geist, ein altes Tabu im DDR-Kino zu brechen, ist dem Film in jeder Einstellung anzumerken. Als ein gelungenes Beispiel sei die erste Liebesnacht zwischen Matthias und Philipp vermerkt. Diese Szenen sind so sensibel gestaltet, das sie sowohl erotisch wirken, als auch die Unsicherheit zweier Neulinge klar zum Ausdruck bringen.
„Hier ist jeder allein – und jeder hier hat Angst“ sagt der Kellner des Schwulenlokals in einer zentralen Szene. Somit ist der Film nicht nur ein einfühlsames, mitreißendes Coming-Out-Drama, sondern auch der Zustandsbericht einer ganzen Generation von schwulen DDR-Bürgern. Zwar vom Staat toleriert und entkriminalisiert, doch im realen Leben tabuisiert und in ein Randgruppendasein gedrängt. Auf einer weiteren Ebene geht der Film auch zu einer offenen Anklage gegen die Versäumnisse der sozialistischen Regierung über. Ein alter Mann im bereits erwähnten Lokal setzt Philipps Frustriertheit in Relationen. „Ich habe einen verdammt hohen Preis dafür bezahlt, dass ich mich heute mit dir an so einem Ort unterhalten darf“. Seine Erlebnisse aus der Nazizeit schließen mit der Bemerkung: „ Nach dem Krieg hat die Partei alles dafür getan, das erlebte Unrecht auszumerzen, nur die Schwulen, die hat man vergessen.“ Direkter kann eine Anklage nicht formuliert werden. So ist dieser Film nicht nur sensibel und dokumentarisch, sondern vor allen Dingen verdammt mutig, auch wenn der Mut letztlich zu spät kam. Seine Premiere erlebte „Coming Out“ just am Tag des Mauerfalls.
So wird dieser Film zu einer Geschichtsstunde vom schwulen Leben hinter dem eisernen Vorhang; und er sorgt dafür, dass dieses Kapitel deutscher Geschichte auch nachkommenden Generationen erhalten bleibt. Die DDR hat nur einen Film zum Thema Schwulsein zu Stande gekriegt, dieses eine Exemplar ist aber einer der wichtigsten Werke in der Geschichte der DEFA.

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