Samstag, August 03, 2013

Seltenes aus dem VHS-Regal, Folge 1



Die unheimliche Macht
(The Keep)
GB 1983 92 Min
von Michael Mann
mit Scott Glenn, Jürgen Prochnow, Ian McKellen, Gabriel Byrne
Video (CIC)

Denkt man an gelackte 80er-Jahre Bildästhetik, an denkt man an Michael Mann. Bevor er seine berühmt-berüchtigte Serie „Miami Vice“ als Kreativ-Produzent durch den Äther jagte, hatte Herr Mann bereits bei drei Langfilmen den Regiestuhl besetzt. Und zumindest der letzte davon zeigt bereits deutlich Manns Stil auf (Zeitlupe, Lichtsetzung, Musikuntermalung; auch als Videoclipästhetik bezeichnet). Die Rede ist von „The Keep“, der im deutschen Sprachraum als „Die unheimliche Macht“ vermarktet wurde.
1941 bekommt ein Trupp deutscher Soldaten den Auftrag, eine Burg in den Karpaten strategisch zu sichern. Trotz der Warnung der Wächter nehmen die Soldaten eins der vielen dort errichteten Silberkreuze aus der Haltung und erwecken damit nicht nur eine dämonische Kraft, sondern empfehlen sich auch für die Einstellung ihrer künftigen Soldzahlungen. Weitere Opfer unter der Mannschaft lassen den Hauptmann um eine Verlegung der Truppe beim Generalstab bitten. Was er bekommt, ist jedoch ein SS-Trupp, der entsendet wird, die Dinge auf ihre Weise zu regeln. Deren Vorgesetzter glaubt trotz aller Indizien an einen Partisanenhintergrund und beginnt das angrenzende Dorf zu terrorisieren. Schließlich wird zur Entschlüsselung einer alten Inschrift ein jüdischer Professor aus dem KZ zur Burg beordert. Parallel macht sich ein junger Grieche ebenfalls auf dem Weg in die Karpaten, weil er mit der unheimlichen Macht und dem dazugehörigen Geheimnis der Burg verbandelt ist.
Klingt auf dem Papier nach einer interessanten Geschichte: Das ultimative Böse trifft auf dessen dämonische Spiegelung. Parabel, ick hör dir trappsen! Doch leider steht die Produktionsgeschichte dem ganzen entgegen. Als Paramount als vertreibendes Studio (Der Film ist eine britische Produktion.) den Endschnitt, welcher sich angeblich zwischen 3 und 4 Stunden bewegte, sah, zeigten sie ihre unheimliche Macht  und verbannten den Regisseur und Drehbuchautor kurzerhand aus dem Schnittraum. Den Herren lag offensichtlich mehr an einem geradlinigen Horrorfilm, weshalb sie „The Keep“ auf knapp 100 Minuten Kinolaufzeit zurechtstutzten.
Dabei ist die erste Hälfte der finalen Version durchaus goutierbar, weil sie im Großen und Ganzen erkennen lässt, welchen Erzählduktus, welches Timing sich wohl Mann für seinen Film vorgestellt hatte. Wenn alle tragenden Charaktere vor Ort in den Karpaten sind, treten die Eingriffe – und damit die Probleme des Films – überdeutlich zu Tage. Der zweite Abschnitt des Films verkommt zur reinen Aneinanderreihung der Szenen, die für den Ausgang der Geschichte notwendig waren, oder aber Schauwerte versprachen. Denn zunächst wird der Hauptplot links liegen gelassen und sich auf die Beziehung zwischen dem Griechen und der Tochter des Professors konzentriert (inklusive einer Sexszene), obwohl diese, zumindest in der finalen Version, lediglich emotionalen Zuckerguss-Charakter besitzt, als dass sie die weiteren Vorgänge beeinflussen würde. Was darauf folgt, ist dann schon das 20-minütige Finale, in dem der Wehrmachtshauptmann urplötzlich erzählt, was er in der Burg über das Wesen und sich herausgefunden hat, ohne dass der Weg zu dieser Erkenntnis vollends nachvollziehbar wäre. Auch werden der Name des Griechen sowie der unheimlichen macht erst hier beiläufig und zum ersten und einzigen Male erwähnt. Kurzum: Die Dramaturgie geht im zweiten Teil des Films irgendwo die Karpatenwand hinunter, und auch der Schnitt ist teilweise eher zusammengetackert als montiert. Und der in der Geschichte angelegte Subkontext über das Entstehen des Bösen auf der Welt sitzt in der Zelluloid-Wartehalle für Arbeitslose und weint. Nur ein-zwei Andeutungen und ein paar bedeutungsschwangere Sätze verirrten sich in den fertigen Film, so dass der von Mann historisch gewählte Hintergrund spekulativ, austauschbar und beliebig wirkt.
Abseits der produzentenbedingten Eingriffe ist auch die Darstellung der Nazis problematisch. Strickt doch der Film – unbewusst oder nicht – an der vor allem in Deutschland nach dem Krieg zurechtgelegten und zur Zeit der Produktion noch immer aktuellen Mär von der sauberen Wehrmacht und der bösen SS. Dies mag in der Figurenkonstellation zu anfangs noch dramaturgischen Zwecken folgen, wird jedoch spätestens zur Hälfte des Film ärgerlich, wenn die Macht den Professor fragt, wer für das momentane Unheil auf der Welt (= WWII) verantwortlich ist, und als Antwort erhält, dass es ein Wahnsinniger in Berlin und seine schwarzen Truppen sei. (Hier wäre jedoch interessant, ob dies in der Originalfassung auch so gesagt wird, oder ob die Synchronisation eventuell etwas nachgebessert hat.)
Auf der Habenseite stehen für mich die pulsierende Musikuntermalung von Tangerine Dream, das Kreaturendesign in seinen verschiedenen Stadien der Manifestierung (wobei die letzte davon eine eindeutige Reminiszenz an Paul Wegeners Golem darstellt), die visuellen Effekte, welche zur damaligen Zeit durchaus in die obere Liga gehören sowie eine doch streckenweise ästhetisch ansprechende Regieleistung mit einigen einprägsamen Momenten. Die gelungenste Sequenz stellt für mich die unbeabsichtigte Befreiung der eingesperrten Macht durch die beiden Soldaten dar, inklusive einer sehr langen rückwärtigen Kamerafahrt von der Großaufnahme eines am Seil hängenden Soldaten hin zu einer alten rituellen Zeremonienstelle. Die Darsteller gehen völlig okay, werden hier aber nicht bis aufs Äußerste gefordert. Klar sollte bei der Herangehensweise des Regisseurs zudem sein, dass man es bei dem Film mit keinem grimmigen Horror in spannungszerfetzender Manier zu tun hat.
Dass Michael Mann sein Frühwerk in der veröffentlichten Fassung nicht mag, liegt auf der Hand. Dass er es war, der bei Paramount erfolgreich gegen eine DVD-Auswertung  insistieren konnte, erscheint mir nicht wirklich schlüssig (Als wenn ein Major darauf hört, was ein Regisseur möchte oder nicht.). Ebenfalls wird in den Tiefen des Netzes kolportiert, dass sich Paramount nicht mit Tangerine Dream über eine Weiterverwendung des Soundtracks einigen konnte. Was auch immer ausschlaggebend war, Tatsache ist, dass „Die unheimliche Macht“ noch einer DVD/Blu-Ray-Auswertung harrt. Ob noch unveröffentlichtes Material von damals erhalten geblieben ist, entzieht sich ebenso meiner Kenntnis. Ein Director‘s Cut wäre aber sicherlich eine interessante und lohnende Sache.
Meiner Besprechung lag die Verleih-Kassette zur Grundlage, bei der die Geometrie-Fetischisten der CIC den Film hübsch rechteckig abgetastet haben. Laut der ofdb soll im Pay-TV jedoch mal eine breite Version gezeigt worden sein.