Frankreich/Schweden/Thailand/USA
2013 90 Min
von Nicolas Winding Refn
mit Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Tom Burke, Vithaya Pansringarm
Kino (Tiberius Film)
Refns Film beginnt stark, die stilisierte Art in Verbindung
mit der gelungenen Tonkulisse wussten zu gefallen. Doch mit zunehmender
Spieldauer macht es einem der Film immer schwerer. Ich bin sehr zwiegespalten…
Die Geschichte ist bewusst einfach gehalten, auf das
Notwendigste reduziert. Auch die
Dramaturgie folgt stets den üblichen Genremechanismen. Rache ist Blutwurst.
Familienbande. Unorthodoxe Polizeimethoden als Gegenstrategie. Auf den
genreüblichen Wegen blättert sich eine spannungslose Geschichte dem Betrachter
auf, die auch das Ende durch Goslings Traum sowie die oftmalige Konzentration
der Kamera auf seine Hände überdeutlich vorwegnimmt. Die narrative Ebene liegt demnach nicht im
Zentrum des Interesses, sondern dient lediglich als Aufhänger, als Korsett für
etwas Anderes, Entscheidendes. Nur…für was?
Die Charaktere sind archetypisch angelegt: Der stoische Cop.
Die prollige Mutter. Lediglich dem Zweitgeborenen wird etwas Entwicklung
zugestanden, wenn man seine
Handlungsweise letztlich als Aufbegehren und damit auch Emanzipation von der
übergroßen Mutterfigur deuten möchte. Vielschichtige, und damit
interessante Figuren hat der Film für mich jedoch nicht zu bieten.
Bleibt die visuelle Ebene: Zeitlupe, Farbfilter, Zeitlupen, einige
Auf- und Untersichten, mehr Zeitlupen, vereinzelt kontrapunktische Lichtsetzung,
noch mehr Zeitlupen. Erst einmal kann Refns Werk als Gegenentwurf zu einem
Großteil des aktuellen Hollywoodkinos gesehen werden: dort wo vieles in
hektischer Betriebsamkeit vor sich geht, die Actions- und Effektsequenzen die
Dramaturgie bestimmen, darauf hoffend, dass dem Publikum vor lauter lautem
Getöse, Gerenne, Geschreie und aller gehetzten, hektischen Inszenierung bloß
nicht die Banalität und Leere der Story auffällt. Doch was steckt hinter den
entschleunigten, zeitlupengeschwängerten Bildern in „Only God Forgives“?
Eine Zeitlupe dehnt bekanntermaßen die Zeit im Rahmen der
Filmerzählung, und erlaubt es dem Regisseur, mehr Informationen zu geben, als
dies in Realzeit möglich wäre. Mehr Details zum Geschehen, mehr zur
Übersichtlichkeit, aber auch mehr zu den Charakteren, deren Regungen und
Befindlichkeiten. Doch wenn weder die minimalistische, genretypische Geschichte
noch die eindimensionalen Charaktere Refns Zeitlupen-Overkill mit Bedeutung
ausstatten können, sind sie dann nicht ebenso leer und selbstreferentiell? Stil
über Substanz? Stil als Substanz? Stil und des Stils Willen?
Hier meine ich den Punkt ausgemacht zu haben, an dem der
Film sein Publikum spalten wird…
Ist Refn vor lauter Stilwillen zum selbstverliebten
Egowichser geworden? Teilt er damit das Schicksal seines Regiekollegen Gaspar
Noe, dem er u.a. im Abspann dankt? Noe hat mit „Irreversibel“ gezeigt, wie
durch simple narrative Kniffe und visuelle Überwältigungsstrategien ein „Kino
der Selbsterfahrung“ erreicht werden kann, bei dem die Story nicht viel mehr
als die Rahmenbedingung für das Zuschauerexperiment darstellt. Und genau dieser
Noe war es, der sich mit seinem Opus Magnum (?)„Enter the Void“ auf
spirituell-esoterische Wege begab, doch sein Stilprinzip der stetig
entfesselten Kamera als subjektive Seelenwanderung im dramaturgisch-selbstverliebten, überlangen
Nichts endete. Ist also auch „Only God forgives“ nur eine überlange, nichtssagende,
optisch hübsch aufgeblasene Banalität?
Oder bedeuten gerade die emotionslosen Gesichter der Brüder
und des Polizisten exakt DIE Aussage des Films? Sind diese Figuren nicht
vielmehr auch deswegen so eindimensional, weil sie sich am Ende eines langen
Kampfes, ihrer Beschäftigung mit sich selbst, ihren Lebenszielen, ihrer
Lebensrealität, ihrer evtl. begangenen Taten, ihrem Milieu und ihrer selbst prognostizierten
Zukunftsaussichten befinden. Dies ist spekulativ und rein den Projektionen der
Zuschauer überlassen, deutlich macht Refn jedoch das Entscheidende seines
Films: Sie alle sind an einem toten Punkt ihrer Entwicklung angekommen und
nehmen ihre selbst auferlegte Rolle an. Sie handeln nach einer inneren Agenda,
einer gereiften Überzeugung – und sie tun dies konsequent. Ohne Ausflüchte. Ihnen
ist klar: Nur Gott vergibt!
Der ältere Bruder begeht
gezielt den Tabubruch und nimmt beabsichtigt noch vor Ort seine Strafe entgegen.
Konsequent. Der Polizist geht rigoros, brutal und außerhalb der Gesetzlichkeit gegen
die Kriminellen vor, der Zweck heiligt auch bei ihm die Mittel. Er vollzieht
dies ohne spürbare Lust, noch ohne Ekel vor sich selbst. Er funktioniert. Konsequent.
Damit erklärt sich auch die fehlende Emotionalität in seiner Körpersprache,
sein aufgesetzt gestelzter Gang. Als er zu Beginn des Films an den Tatort
kommt, schaut er in das Gesicht des Täters und erkennt die konsequente Agenda
seines Gegenübers. Die oben beschriebene, emanzipatorische Charakterentwicklung des jüngeren Bruders kann ebenso gedeutet werden
als en Weg der Erkenntnis seiner eigenen Rolle in Abhängigkeit seiner existierenden
Möglichkeiten. Die Hassliebe zu seiner Mutter führt zu seiner gewählten Agenda.
Als er den Polizisten fragt, ob er kämpfen möge, mustert dieser ihn und erkennt,
ohne die Gründe dafür zu wissen, dass er seine selbst auferlegte Bestimmung gewählt
hat und beginnt, diese in die Tat umzusetzen. Der jüngere Bruder weiß jedoch auch um die unvermeidliche
Folge seines Handelns – und nimmt diese am Schluss des Films hin. Konsequent.
Als Gegenpol zu diesen Figuren ist die Mutter angelegt, die ihre
eigene, unvermeidliche, Agenda nicht gefunden hat – oder aber nicht dazu stehen
kann. Die sucht nach Ausflüchten. Zuerst einmal im Kleinen hinsichtlich der
Gründe für ihren diagnostizierte Neid des jüngeren auf den älteren Bruder, für
den sie u.a. sogar akuten Penisneid heranzieht. Hier ringt sie sich im Verlauf
des Films zu ihrer eigenen, ehrlichen Agenda durch („ Ich werde dich nie verstehen…
Du bist einfach anders.“). Im Großen gelingt ihr dies nicht: Als Drogenboss ist
ihre mögliche Konsequenz noch zu abstrakt, zu weit hergeholt, zu viele Wächter
und Gefolgsleute stehen dem Gedankengang vlt. im Weg. Auch als sie den Auftrag
gibt, ihren Sohn zu rächen, kann sie die Konsequenz ihres Befehls aufgrund
ihres Unwissens um die Person des Polizisten noch nicht erkennen. Mit diesem
Wissen jedoch will sie die nun unvermeidbare Konsequenz für sich nicht
wahrhaben und sucht bis zuletzt Ausflüchte und stirbt daher unter Todesangst.
Wie die meisten seiner Charaktere, so folgt auch Refn mit
dem Film seiner eigenen Agenda. „Only God Forgives“ ist minimalistisch,
hypnotisierend und schön anzuschauen – und hat als Inhalt nur seine Message.
Konsequent. Und ich glaube, er weiß, im übertragenden Sinne wie die beiden
Brüder im Film, auch um die Schattenseite, quasi um die Konsequenz seiner gewählten
Konsequenz: Für viele Betrachter wird der geringe Inhalt keinen 90-minütigen
Film tragen.
Was also
ist „Only God Forgives“? Konsequent-minimalistisches, gelungenes
Arthousekino oder ein repetitives, künstlich aufgebauschtes Stückchen Langeweile?
Ich habe mich entschieden: Er ist beides! :-)