Mittwoch, Juli 31, 2013

Die Konsequenz



Only God Forgives

Frankreich/Schweden/Thailand/USA 2013 90 Min
von Nicolas Winding Refn
mit Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Tom Burke, Vithaya Pansringarm
Kino (Tiberius Film)



Refns Film beginnt stark, die stilisierte Art in Verbindung mit der gelungenen Tonkulisse wussten zu gefallen. Doch mit zunehmender Spieldauer macht es einem der Film immer schwerer. Ich bin sehr zwiegespalten…

Die Geschichte ist bewusst einfach gehalten, auf das Notwendigste reduziert.  Auch die Dramaturgie folgt stets den üblichen Genremechanismen. Rache ist Blutwurst. Familienbande. Unorthodoxe Polizeimethoden als Gegenstrategie. Auf den genreüblichen Wegen blättert sich eine spannungslose Geschichte dem Betrachter auf, die auch das Ende durch Goslings Traum sowie die oftmalige Konzentration der Kamera auf seine Hände überdeutlich vorwegnimmt.  Die narrative Ebene liegt demnach nicht im Zentrum des Interesses, sondern dient lediglich als Aufhänger, als Korsett für etwas Anderes, Entscheidendes. Nur…für was?
Die Charaktere sind archetypisch angelegt: Der stoische Cop. Die prollige Mutter. Lediglich dem Zweitgeborenen wird etwas Entwicklung zugestanden, wenn man seine Handlungsweise letztlich als Aufbegehren und damit auch Emanzipation von der übergroßen Mutterfigur deuten möchte. Vielschichtige, und damit interessante Figuren hat der Film für mich jedoch nicht zu bieten.
Bleibt die visuelle Ebene: Zeitlupe, Farbfilter, Zeitlupen, einige Auf- und Untersichten, mehr Zeitlupen, vereinzelt kontrapunktische Lichtsetzung, noch mehr Zeitlupen. Erst einmal kann Refns Werk als Gegenentwurf zu einem Großteil des aktuellen Hollywoodkinos gesehen werden: dort wo vieles in hektischer Betriebsamkeit vor sich geht, die Actions- und Effektsequenzen die Dramaturgie bestimmen, darauf hoffend, dass dem Publikum vor lauter lautem Getöse, Gerenne, Geschreie und aller gehetzten, hektischen Inszenierung bloß nicht die Banalität und Leere der Story auffällt. Doch was steckt hinter den entschleunigten, zeitlupengeschwängerten Bildern in „Only God Forgives“?
Eine Zeitlupe dehnt bekanntermaßen die Zeit im Rahmen der Filmerzählung, und erlaubt es dem Regisseur, mehr Informationen zu geben, als dies in Realzeit möglich wäre. Mehr Details zum Geschehen, mehr zur Übersichtlichkeit, aber auch mehr zu den Charakteren, deren Regungen und Befindlichkeiten. Doch wenn weder die minimalistische, genretypische Geschichte noch die eindimensionalen Charaktere Refns Zeitlupen-Overkill mit Bedeutung ausstatten können, sind sie dann nicht ebenso leer und selbstreferentiell? Stil über Substanz? Stil als Substanz? Stil und des Stils Willen?
Hier meine ich den Punkt ausgemacht zu haben, an dem der Film sein Publikum spalten wird…
Ist Refn vor lauter Stilwillen zum selbstverliebten Egowichser geworden? Teilt er damit das Schicksal seines Regiekollegen Gaspar Noe, dem er u.a. im Abspann dankt? Noe hat mit „Irreversibel“ gezeigt, wie durch simple narrative Kniffe und visuelle Überwältigungsstrategien ein „Kino der Selbsterfahrung“ erreicht werden kann, bei dem die Story nicht viel mehr als die Rahmenbedingung für das Zuschauerexperiment darstellt. Und genau dieser Noe war es, der sich mit seinem Opus Magnum (?)„Enter the Void“ auf spirituell-esoterische Wege begab, doch sein Stilprinzip der stetig entfesselten Kamera als subjektive Seelenwanderung  im dramaturgisch-selbstverliebten, überlangen Nichts endete. Ist also auch „Only God forgives“ nur eine überlange, nichtssagende, optisch hübsch aufgeblasene Banalität?
Oder bedeuten gerade die emotionslosen Gesichter der Brüder und des Polizisten exakt DIE Aussage des Films? Sind diese Figuren nicht vielmehr auch deswegen so eindimensional, weil sie sich am Ende eines langen Kampfes, ihrer Beschäftigung mit sich selbst, ihren Lebenszielen, ihrer Lebensrealität, ihrer evtl. begangenen Taten, ihrem Milieu und ihrer selbst prognostizierten Zukunftsaussichten befinden. Dies ist spekulativ und rein den Projektionen der Zuschauer überlassen, deutlich macht Refn jedoch das Entscheidende seines Films: Sie alle sind an einem toten Punkt ihrer Entwicklung angekommen und nehmen ihre selbst auferlegte Rolle an. Sie handeln nach einer inneren Agenda, einer gereiften Überzeugung – und sie tun dies konsequent. Ohne Ausflüchte. Ihnen ist klar: Nur Gott vergibt!
 Der ältere Bruder begeht gezielt den Tabubruch und nimmt beabsichtigt noch vor Ort seine Strafe entgegen. Konsequent. Der Polizist geht rigoros, brutal und außerhalb der Gesetzlichkeit gegen die Kriminellen vor, der Zweck heiligt auch bei ihm die Mittel. Er vollzieht dies ohne spürbare Lust, noch ohne Ekel vor sich selbst. Er funktioniert. Konsequent. Damit erklärt sich auch die fehlende Emotionalität in seiner Körpersprache, sein aufgesetzt gestelzter Gang. Als er zu Beginn des Films an den Tatort kommt, schaut er in das Gesicht des Täters und erkennt die konsequente Agenda seines Gegenübers. Die oben beschriebene, emanzipatorische  Charakterentwicklung des  jüngeren Bruders kann ebenso gedeutet werden als en Weg der Erkenntnis seiner eigenen Rolle in Abhängigkeit seiner existierenden Möglichkeiten. Die Hassliebe zu seiner Mutter führt zu seiner gewählten Agenda. Als er den Polizisten fragt, ob er kämpfen möge, mustert dieser ihn und erkennt, ohne die Gründe dafür zu wissen, dass er seine selbst auferlegte Bestimmung gewählt hat und beginnt, diese in die Tat umzusetzen. Der  jüngere Bruder weiß jedoch auch um die unvermeidliche Folge seines Handelns – und nimmt diese am Schluss des Films hin. Konsequent.
Als Gegenpol zu diesen Figuren ist die Mutter angelegt, die ihre eigene, unvermeidliche, Agenda nicht gefunden hat – oder aber nicht dazu stehen kann. Die sucht nach Ausflüchten. Zuerst einmal im Kleinen hinsichtlich der Gründe für ihren diagnostizierte Neid des jüngeren auf den älteren Bruder, für den sie u.a. sogar akuten Penisneid heranzieht. Hier ringt sie sich im Verlauf des Films zu ihrer eigenen, ehrlichen Agenda durch („ Ich werde dich nie verstehen… Du bist einfach anders.“). Im Großen gelingt ihr dies nicht: Als Drogenboss ist ihre mögliche Konsequenz noch zu abstrakt, zu weit hergeholt, zu viele Wächter und Gefolgsleute stehen dem Gedankengang vlt. im Weg. Auch als sie den Auftrag gibt, ihren Sohn zu rächen, kann sie die Konsequenz ihres Befehls aufgrund ihres Unwissens um die Person des Polizisten noch nicht erkennen. Mit diesem Wissen jedoch will sie die nun unvermeidbare Konsequenz für sich nicht wahrhaben und sucht bis zuletzt Ausflüchte und stirbt daher  unter Todesangst.
Wie die meisten seiner Charaktere, so folgt auch Refn mit dem Film seiner eigenen Agenda. „Only God Forgives“ ist minimalistisch, hypnotisierend und schön anzuschauen – und hat als Inhalt nur seine Message. Konsequent. Und ich glaube, er weiß, im übertragenden Sinne wie die beiden Brüder im Film, auch um die Schattenseite, quasi um die Konsequenz seiner gewählten Konsequenz: Für viele Betrachter wird der geringe Inhalt keinen 90-minütigen Film tragen.

Was also ist „Only God Forgives“? Konsequent-minimalistisches, gelungenes Arthousekino oder ein repetitives, künstlich aufgebauschtes Stückchen Langeweile?

Ich habe mich entschieden: Er ist beides! :-)