Samstag, Juli 28, 2012

Land of the (Un)Free


Strafpark
Punishment Park
USA 1971  92 Min
von Peter Watkins
mit Patrick Boland, Kent Foreman, Carmen Argenziano
Blu-Ray (Eurovideo/Bavaria - Kino Kontrovers 12)

Aufgrund der politisch angespannten Situation zu Beginn der 70er Jahre in den USA mit Hippiebewegung, Rassenunruhen und den Protesten gegen den Vietnam-Krieg greift der Präsident auf ein bestehendes Notfall-Gesetz zurück, dass es den staatlichen Behörden erlaubt, jede Bürgermeinung abseits der offiziellen Doktrin und damit die Person selbst zu kriminalisieren. Kriegsgegner wie Regimekritiker werden in Schauprozessen abgeurteilt und müssen sich entscheiden zwischen einer langjährigen Gefängnisstrafe oder einer 3-tägigen Teilnahme am sogenannten Strafpark. Während Gruppe 637 in diesem unterwegs ist, wird über die Gruppe 638 Gericht gehalten – beides wird dabei dokumentiert von zwei europäischen Kamerateams.

„Strafpark“ spitzt die damalige politische Lage in den USA zu einer höchst beunruhigenden Dystopie zu. Das Land wird als undemokratisch und gewalttätig, als faschistischer Polizeistaat dargestellt, mitsamt seinen Konzentrationslagern Strafparks inklusive Schauprozessen und Todesmarsch. Die größte Leistung des Films ist dabei sein authentischer, dokumentarischer Anstrich: Innerhalb kürzester Zeit wurde der Film mit einer beweglichen 16m-Handkamera im Stil einer Reportage gedreht, auf Filmmusik wurde verzichtet (lediglich ein elektronischer, unheilschwangerer Ton ist mehrmals zu hören), der Kommentar fällt nüchtern und spärlich aus. Zudem entschied sich der Regisseur dafür, keine professionellen Schauspieler für den Film zu engagieren. Mit den gecasteten Laien wurden vorab nur die Eckpunkte der jeweiligen Rolle festgelegt, die Dialoge entstanden spontan, es wurde ohne Proben gedreht. Gerade die Rededuelle im Gerichtszelt profitieren in ihrer gewissen Unberechenbarkeit, Dynamik und Schärfe ungemein von diesen Entscheidungen.

Zusätzlich zum politischen Konfliktpotential enthält der Film noch eine zweite, gesellschafts- und medienkritische Reflexionsebene. Ein Kamerateam begleitet eine der Gruppen durch den Strafpark – ein meilenlanger Marsch durch die Wüste bei sengender Hitze – dokumentarisch distanziert. Auch als zu Beginn des Marsches von den Sicherheitskräften getätigte Versprechen sich als unwahr herausstellen, wahren sie die durch ihr journalistisches Ethos geforderte Neutralität und funktionieren dabei bewusst oder unbewusst als Rädchen im antidemokratischen Prinzip des Strafparks und seiner politischen Bedeutung selbst. Zudem wird der Vorgang des Dokumentierens als voyeuristischer Vorgang gezeigt, der die Frage impliziert, ob dies wirklich der Aufklärung dient, oder vielmehr zur Befriedigung der Sensationslust der Fernsehzuschauer geschieht. Auch auf dieser Ebene überspitzt Watkins die Rolle der Medien und formuliert dadurch seinen Aufruf an die Medien, indem er dem Kameratema eine Entwicklung zugesteht, die von emotionsloser, nüchterner Distanz hin zu aktiver Einmischung in das zu dokumentierende Geschehen geht, als sich der Konflikt zwischen Gefangenen und Sicherheitskräften entlädt.

Über einen großen Bekanntheitsgrad könnte sich Peter Watkins Film seit seiner Entstehung wahrlich nicht erfreuen. Dies verdankt er der Tatsache, dass der Film ein offener, polemischer Angriff gegen staatliche Repression in Krisenzeiten darstellt, der den Vereinigten Staaten von Amerika in bitterböser Deutlichkeit den Spiegel vorhält. Die Subtilität der feinen Anspielungen und Metaphern ist nicht das gewählte Mittel, mehr ein beherzter Tritt vors Schienbein … des Zuschauers, auf das er doch endlich aufwachen möge. Nein, definitiv kein Film zum Finden der eigenen seelischen Ausgeglichenheit und inneren Ruhe. „Strafpark“ macht zornig und wütend – ein Aufruf zur Gewaltausübung ist der Film jedoch nicht. Die Konsequenz solch einer filmischen Vorgehensweise war und ist jedenfalls klar: der Film fand in den USA keinen Vertrieb. Dort wo er in wenigen kleinen Hinterhofkinos lief, wurde er kaum beworben und nach kurzer Zeit wieder aus dem Programm genommen. Die größte Anzahl der Kritiken waren vernichtend. Auch in Deutschland wurde der Film erst ein Jahrzehnt später zum ersten Mal gezeigt.
Nach Editionen für den Heimfilmmarkt aus den USA und England liegt „Strafpark“ nun auch in Deutschland als DVD und Blu-Ray-Variante vor, sorgsam ausgestattet mit Textbooklet, Audiokommentar sowie einer halbstündigen Einführung und zwei frühen Kurzfilmen des Regisseurs. Wer spannendes, faszinierendes und aufwühlendes Politkino der 70er Jahre zu schätzen weiß, sollte einen Blick riskieren, denn Watkins Film stellt einen der gelungensten Beispiele dieser Ära dar. An Aktualität hat der Film thematisch bis heute nicht verloren, es reicht Stichworte wie „Patriot Act“, Guantanamo und Abu Ghraib zu erwähnen.  Und man muss sich ja an Beispielen nicht nur auf die USA beschränken…

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