Sonntag, Februar 02, 2014

Night Train – Der letzte Zug in die Nacht


(L‘ultimo treno della notte)
a.ka. Mädchen in den Krallen teuflischer Bestien
ITA 1975 94 Min
von Aldo Lado
mit Flavio Bucci, Gianfranco de Grassi, Macha Meril, Franco Fabrizi
Deutscher Kinoverleih: Nobis
Blu-Ray / DVD (Koch Media)

"Mädchen in den Krallen teuflischer Bestien". Was für ein Titel! Das riecht nach deftiger Exploitation, einem Paradebeispiel von Bahnhofskino-Schmuddel. Subsumiert also alles, was sog. Fachjournalisten so gern als reaktionär oder gar faschistoid brandmarken. Mal abgesehen von der generellen Fragwürdigkeit solch schablonen- und reflexartiger Zuschreibungen legt der deutsche Titel eine Erwartungshaltung nahe, die der Film dem Zuschauer nahezu grundlegend verweigern wird. Deswegen auch der zweite deutsche Kinotitel in der Überschrift.

Dabei ist die Geschichte an sich von klassischem Rape-and-Revenge-Zuschnitt. Zwei 16-jährige Mädchen werden  an Weihnachten während ihrer Zugfahrt von München nach Turin vergewaltigt und enden tot neben den Bahngleisen. Der Zufall will es, das die TäterInnen just im Elternhaus eines der Mädchen Unterkommen. Als der Vater dahinter kommt, heißt es Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Ja, der Film entstand aufgrund des Erfolges von Wes Cravens „Mondo Brutale“ („Last House on the Left“), der 1972 die westliche Hemisphäre schockierte, und wiederrum eine Adaption von Ingmar Bergmans  Film „Die Jungfrauenquelle“ darstellt. Cravens Film war preiswert, dreckig  und ungehobelt; auf Krawall gebürstet; mit einer scharfen Trennung von Gut und Böse. Durchaus als Reaktion auf die gewalthaltigen Vorgänge seiner Zeit (Vietnamkrieg etc.) zu sehen, war die Herangehensweise spontan, affektiv und wütend, vom gesellschaftlichen Unbehagen des Regisseurs untermauert. Pubertärer Weltschmerz – roh, direkt und unversöhnlich. Dem entgegen stellt Aldo Lados Streifen inhaltlich die erwachsene Variante dar – reflektiert, zynisch, desillusioniert. Der gesellschaftliche Mikrokosmos, der den letzten Zug in die Nacht besteigt, lässt einen in der Mehrzahl nämlich frösteln. Das Unschuldige hat wenig Chancen rein zu bleiben, was die beiden Damen vor ihrem Ende leidvoll erfahren müssen. Der Grundton des Films ist zutiefst pessimistisch: Unschöne Gestalten bevölkern die Welt; und nicht alle sind leicht zu erkennen. Egal ob Hausfrau, Kleinkrimineller, angesehener Arzt oder Familienvater – überall wartet tief im Inneren das Ekelhafte, Perverse, Zerstörende…einmal freigelassen, zerbröselt es den Kitt des  aufgeklärten, friedfertigen und moralischen Homo sapiens schneller als der Karabiner geladen und entsichert ist.
Aldo Lados Regie untergräbt dabei stets alle spekulativen Erwartungshaltungen. Die Schandtaten sind geschickt inszeniert, so dass sie intensiv wirken, ohne in einem Zeigegestus abzufallen. Möglichkeiten für das Zeigen nackter Haut werden demnach kaum genutzt. Viel mehr ist der Film an den Reaktionen und Gefühlsäußerungen seiner Protagonisten und deren Macht- und Figurenkonstellationen untereinander interessiert. So überrascht er gleich mehrfach mit Brechungen einer genrebedingten stereotypen Charakterisierung. Hierbei stellt Macha Merils Figur den Ankerpunkt des Films dar, ist sie doch die treibende Kraft der tragischen Ereignisse und sorgt für ein unangenehmes wie brillantes Filmende.
Die biedere, kultivierte, feine Dame wird zur Wortführerin und Aufwieglerin von zwei Kleinkriminellen. Der blind vor Wut schnaubende, angesehene Arzt und Familienvater inszeniert seine Rache wie eine Hinrichtung, und trifft dabei auch denjenigen des unheiligen Duos, der nichts zur Eskalation der Dinge im Zug beigetragen hat. Aufgeklärte, intelligente Menschen debattieren über die Ursachen der (gefühlten?) zunehmenden Gewalt und führen diese Thesen höchst selbst ad absurdum. Alles gelungene Beispiele dafür, dass „Night Train – Der letzte Zug in die Nacht“ sich nicht nur plakativen und reaktionären, sondern jedweden Aussagen verweigert. Das kann man als misanthropisch verdammen. Oder ehrlich nennen. In jedem Fall hinterlässt der Film ein ungutes Gefühl in der Magengegend und wirkt auch in der Birne nach – was mehr kann man bei der gewählten Thematik verlangen!?

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