(L‘ultimo treno della notte)
ITA 1975 94 Min
von Aldo Lado
mit Flavio Bucci, Gianfranco de Grassi, Macha Meril, Franco
Fabrizi
Deutscher Kinoverleih: Nobis
Blu-Ray / DVD (Koch Media)
"Mädchen in den Krallen teuflischer Bestien". Was für ein
Titel! Das riecht nach deftiger Exploitation, einem Paradebeispiel von
Bahnhofskino-Schmuddel. Subsumiert also alles, was sog. Fachjournalisten so
gern als reaktionär oder gar faschistoid brandmarken. Mal abgesehen von der
generellen Fragwürdigkeit solch schablonen- und reflexartiger Zuschreibungen legt
der deutsche Titel eine Erwartungshaltung nahe, die der Film dem Zuschauer
nahezu grundlegend verweigern wird. Deswegen auch der zweite deutsche Kinotitel
in der Überschrift.
Dabei ist die Geschichte an sich von klassischem
Rape-and-Revenge-Zuschnitt. Zwei 16-jährige Mädchen werden an Weihnachten während ihrer Zugfahrt von
München nach Turin vergewaltigt und enden tot neben den Bahngleisen. Der Zufall
will es, das die TäterInnen just im Elternhaus eines der Mädchen Unterkommen.
Als der Vater dahinter kommt, heißt es Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Ja, der Film entstand aufgrund des Erfolges von Wes Cravens „Mondo
Brutale“ („Last House on the Left“), der 1972 die westliche Hemisphäre schockierte,
und wiederrum eine Adaption von Ingmar Bergmans Film „Die Jungfrauenquelle“ darstellt. Cravens
Film war preiswert, dreckig und
ungehobelt; auf Krawall gebürstet; mit einer scharfen Trennung von Gut und
Böse. Durchaus als Reaktion auf die gewalthaltigen Vorgänge seiner Zeit
(Vietnamkrieg etc.) zu sehen, war die Herangehensweise spontan, affektiv und
wütend, vom gesellschaftlichen Unbehagen des Regisseurs untermauert. Pubertärer
Weltschmerz – roh, direkt und unversöhnlich. Dem entgegen stellt Aldo Lados
Streifen inhaltlich die erwachsene Variante dar – reflektiert, zynisch,
desillusioniert. Der gesellschaftliche Mikrokosmos, der den letzten Zug in die
Nacht besteigt, lässt einen in der Mehrzahl nämlich frösteln. Das Unschuldige hat
wenig Chancen rein zu bleiben, was die beiden Damen vor ihrem Ende leidvoll
erfahren müssen. Der Grundton des Films ist zutiefst pessimistisch: Unschöne
Gestalten bevölkern die Welt; und nicht alle sind leicht zu erkennen. Egal ob
Hausfrau, Kleinkrimineller, angesehener Arzt oder Familienvater – überall
wartet tief im Inneren das Ekelhafte, Perverse, Zerstörende…einmal freigelassen,
zerbröselt es den Kitt des aufgeklärten,
friedfertigen und moralischen Homo sapiens schneller als der Karabiner geladen
und entsichert ist.
Aldo Lados Regie untergräbt dabei stets alle spekulativen Erwartungshaltungen.
Die Schandtaten sind geschickt inszeniert, so dass sie intensiv wirken, ohne in
einem Zeigegestus abzufallen. Möglichkeiten für das Zeigen nackter Haut werden
demnach kaum genutzt. Viel mehr ist der Film an den Reaktionen und
Gefühlsäußerungen seiner Protagonisten und deren Macht- und Figurenkonstellationen
untereinander interessiert. So überrascht er gleich mehrfach mit Brechungen einer
genrebedingten stereotypen Charakterisierung. Hierbei stellt Macha Merils Figur
den Ankerpunkt des Films dar, ist sie doch die treibende Kraft der tragischen
Ereignisse und sorgt für ein unangenehmes wie brillantes Filmende.
Die biedere, kultivierte, feine Dame wird zur Wortführerin
und Aufwieglerin von zwei Kleinkriminellen. Der blind vor Wut schnaubende,
angesehene Arzt und Familienvater inszeniert seine Rache wie eine Hinrichtung,
und trifft dabei auch denjenigen des unheiligen Duos, der nichts zur Eskalation
der Dinge im Zug beigetragen hat. Aufgeklärte, intelligente Menschen
debattieren über die Ursachen der (gefühlten?) zunehmenden Gewalt und führen
diese Thesen höchst selbst ad absurdum. Alles gelungene Beispiele dafür, dass „Night
Train – Der letzte Zug in die Nacht“ sich nicht nur plakativen und reaktionären,
sondern jedweden Aussagen verweigert. Das kann man als misanthropisch verdammen.
Oder ehrlich nennen. In jedem Fall hinterlässt der Film ein ungutes Gefühl in
der Magengegend und wirkt auch in der Birne nach – was mehr kann man bei der
gewählten Thematik verlangen!?
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